
Der Mensch als lebender Organismus steht unablässig in direkter Wechselwirkung zu seiner Umgebung. Das ist ein Umstand dem sich niemand entziehen kann und den wir uns positiv zu Nutze machen können. Aber es gibt auch Faktoren, die uns schaden und unser System negativ beeinflussen.
Wir haben es größtenteils selbst in der Hand womit wir uns umgeben und wie viele dieser schädigenden Einflüsse wir tolerieren. Hierzu zählen sensorische Einflüsse wie Temperatur, visueller sowie auditiver Lärm, Licht, haptische Eigenschaften von Objekten, mit denen wir in Berührung kommen, optische Einflüsse durch Farben und Formen, psychische Einflüsse und physische Einflüsse.
Diese physischen Einflüsse reichen von rein körperlich-anatomischen Einflüssen, durch geeignete oder ungeeignete Ergonomie bis hin zu körperlich-stofflichen Einflüssen durch Umweltgifte und Schadstoffe aus Raumluft und Materialien von denen wir umgeben sind.
Unsere Räume haben Einfluss auf uns, auch physisch
Als Physiotherapeutin, die in der Innenarchitektur tätig ist und zertifizierte Fachplanerin für gesündere Gebäude, weiß ich um die Risiken und Problematiken, die von Schadstoffen ausgehen. Diese reichen von Atemwegs-Reizungen über Kontaktallergien bis hin zu schwerwiegenden Erkrankungen wie Autoimmunerkrankungen, Krebs und Leberzirrhose.
Nun sind natürlich die meisten Baustoffe und Materialien in irgendeiner Form reguliert und überwacht. Jedoch reichen die meisten Siegel und entsprechenden Prüfkriterien nicht aus, um wirklich eine gesündere Umgebung zu schaffen. Viele der Grenzwerte bestätigen lediglich, dass keine unmittelbare Schädigung erfolgt. Jedoch werden häufig die Langzeitfolgen vernachlässigt oder schlicht nicht erhoben.
Fakt ist, dass sich sämtliche Einflüsse auf unser System addieren und somit auch eine unbedenklich scheinende Dosis eines Stoffes, in Kombination mit einem weiteren Faktor dann doch ein erhebliches Schädigungspotential entfalten kann.
Als Beispiel könnte man anführen: Wer an einer vielbefahrenen Straße wohnt und dann auch noch einen Kunststoffboden wie Vinylbelag in der Wohnung hat und die Wände mit Dispersionsfarbe gestrichen sind, der hat eine deutlich erhöhte Schadstoffbelastung. Im Gegensatz zur selben Wohngegend, aber mit einem weniger schädlichen Holzfußboden oder Fliesenboden und mineralischem Wandbelag.
So sind dann alle Faktoren zu berücksichtigen, wenn es um die Beurteilung der Schadstoffmenge, -Anzahl und Verteilung geht.
Möbel und Textilien sind Teil der Problematik
Auch die Möbel und Textilien sowie Alltagsgegenstände haben großen Einfluss auf die Schadstoffbilanz und Belastung unserer unmittelbaren Umgebung. Bei Textilien auf natürliche Fasern zu setzen ist schon ein guter Schritt in Richtung Schadstoffoptimierung. Gewebe wie Leinen, Baumwolle und Schurwolle sind gegenüber Kunstfasern wie Polyester immer im Vorteil. Wichtig sind natürlich auch die Verarbeitungsprozesse, wie Bleich- und Färbeverfahren sowie Performance-Veredelungen und brandhemmende Substanzen. Aber generell ist eine Naturfaser der Kunstfaser immer vorzuziehen.
Kritische Werte in der Raumluft, die von Baustoffen sowie Einrichtungsgegenständen verursacht werden, kann man durch Raumluftmessungen erfassen und so die Ursachen schneller finden und beheben.
Da ein Haushalt aber häufig nicht nur aus den Einrichtungsgegenständen besteht, sondern auch mit Reinigungsmitteln in Berührung kommt, Raumdüfte und andere Chemikalien beherbergt spielt natürlich auch dieser Einfluss eine Rolle.

Nicht nur die Einrichtung enthält Schadstoffe
Deshalb freut es mich sehr, dass die Chemieingenieurin Sarah Reynvaan uns auch einen Einblick in ihre wertvolle Arbeit gewährt und uns die wichtigsten, oft versteckten Schadstoffquellen im Haushalt aufzeigt.
Liebe Sarah, was ist aus deiner Sicht die wichtigste Schadstoffquelle, der man sich im Haushalt bewusst sein sollte?
Aus meiner Sicht ist das ganz klar der Schimmel in seinen verschiedenen Arten und seine Stoffwechselabbauprodukte, die sogenannten Mykotoxine (Pilzgifte). Schimmel wird häufig von den Menschen in seiner schädigenden Wirkung herabgespielt. Das sollte nicht sein. Jeder Schimmel sollte professionell entfernt werden. Mein Appell an alle: Tolerieren Sie keinen Schimmel! Weder beim Biomüll der zu lange in der Küche steht noch im Kühlschrank noch in Badbereichen.
Wie kann man sein Bewusstsein für Schadstoffe schärfen und sich der Einflüsse besser bewusst werden?
Der erste Schritt ist gedanklich zuzulassen, dass es Schadstoffe aus der Umwelt gibt, die uns Menschen in der Leistung und Gesundheit beeinträchtigen können. Der zweite Schritt ist den Willen zu entwickeln zu erkunden welche Stoffe sich in unserem Umfeld befinden. Der dritte die mit dem Verstand durchgeführte Analyse, ob diese Stoffe nun harmlos oder schädlich sind. Im vierten Schritt kann man dann die als schädlich erkannten Stoffe eliminieren und reduzieren und im fünften Schritt Ersatz finden und Alternativen umsetzen.
Schadstoffe und Substanzen gezielt nachweisen ist gar nicht so schwer
Wie kann man diese Schadstoffe und Substanzen denn am einfachsten nachweisen? Gibt es hier auch Tests und Messungen?
Der aller einfachste Nachweis, den jeder durchführen kann, ist über die eigene Sensorik. Wenn irgendwo Dreck liegt, sehen wir das mit unseren Augen. Wenn etwas stinkt oder stark riecht, wie beispielsweise synthetische Düfte ist das ein Indiz dafür, dass der Stoff bedenklich ist oder gar gesundheitsschädigend sein kann. Neben unserer Nase haben wir auch unsere Hände, mit denen wir anfühlen können, ob sich etwas gut anfühlt oder nicht. Doch Vorsicht, die Wahrnehmung ist nicht bei allen Menschen gleich ausgeprägt, nicht immer möglich und falsch positive oder falsch negative Feststellungen sind möglich. Deshalb ist es sinnvoll, Expert*innen zu Rate zu ziehen. Viele Produkte wie Kunststoffe sind gekennzeichnet und geben das Material an, aus dem sie bestehen. Die besten Nachweise sind Messungen von Staub, Wasser und Luft. Wenn jemand gesundheitliche Beschwerden hat rate ich dazu, diese Medien zu testen, um so Rückschlüsse auf vorliegende Schadstoffe im Umfeld zu erhalten.

Welchen Stellenwert haben Schadstoffe im Hinblick auf die Gesunderhaltung? Und was sollte jemand deiner Meinung nach tun, der evtl. schon eine gesundheitliche Vorbelastung beispielsweise in Form einer Autoimmunerkrankung hat?
Ich vertrete die Auffassung, dass viele, wenn nicht jede schwerwiegende gesundheitliche Belastung wie Autoimmunerkrankungen mit durch Umweltschadstoffe verursacht, ausgelöst oder getriggert wird. Teilweise bestehen dazu schon wissenschaftliche Studien, aber die Ursache-Wirkungsbeziehungen von Umweltschadstoff zu Symptomatik stecken, vor allem, was chronische multifaktoriell bedingte Erkrankungen betrifft, noch in den Kinderschuhen. Und weil das eben so ist, dass wir noch nicht genau wissen, wie die vielen Schadstoffe, denen wir tagtäglich in Kombination ausgesetzt sind, auslösen und die individuell auch unterschiedlich wirken können, ist die beste Prävention, das eigene Umfeld so schadstofffrei wie möglich zu gestalten. Das kann und sollte auch jeder tun. Bei Menschen, die mit der Zeit eine chronische Erkrankung entwickelt haben, sollte die Top-Priorität sein, Ursachen und Quellen der Symptomatik, vor allem die im direkten Umfeld, zu finden. Ich habe durch die Elimination der Umweltschadstoffe in meinem Umfeld, Symptomfreiheit von der Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis* erreicht und wenn ich das kann, dann können das andere auch. Meiner Auffassung und Erfahrung nach, nicht nur bei dieser Autoimmunerkrankung, sondern auch bei vielen anderen chronischen Symptomatiken.
*Myasthenia gravis: gehört zu einer Gruppe von neurologischen Erkrankungen, die durch eine gestörte Signalübertragung zwischen Nerv und Muskel gekennzeichnet ist. Es kommt dadurch zu einer hochgradigen Ermüdbarkeit der Muskulatur und belastungsabhängiger Muskelschwäche.
(anm. der Redaktion)
Was man über Symptome wissen sollte
Was ist deiner Meinung nach wichtig, was jeder über Schadstoffe und Symptome wissen sollte?
1.Kein Symptom kommt ohne Grund
2.Die Ursache der Symptome liegt oft in Umweltschadstoffen.
3.Es gibt Hoffnung und Erfahrungsberichte, dass die Symptomatik wieder verschwinden kann, wenn die relevanten Umweltschadstoffe eliminiert wurden.
Was kann man kurz- und langfristig tun, um Schadstoffe im Haushalt zu senken?
Kurzfristig: Alles Überflüssige aus dem Haushalt entfernen, Minimalismus leben, Ordnung schaffen, für Sauberkeit sorgen inklusive häufigem Staubsaugen und Lüften, schädliche Substanzen, Stoffe, Materialien, Möbel zu entfernen, einen Haushaltscheck von einer Expert*in durchführen lassen.
Langfristig: Sich mit dem Thema Umweltschadstoffe auseinandersetzen und systematisch Schritt für Schritt die Umweltschadstoffe im Außen und erst dann im Inneren entfernen, reduzieren und eliminieren.
Was empfiehlst du, um die Schadstoffbilanz im Haushalt zu optimieren?
Man sollte mit der Analyse der Dinge anfangen, die leicht auszutauschen sind. Das heißt in erster Linie mit Kosmetika, Küchenutensilien und Reinigungsmitteln. Da hilft es sich eine App, wie CodeCheck oder ToxFox herunterzuladen, die angeben, wie bedenklich die Produkte und deren Inhaltsstoffe sind, und im eigenen Haushalt die Haushaltsprodukte auf Schadstoffe zu scannen. Es empfiehlt sich auf Zertifizierungen und Biosiegel zu achten. Je weniger Dinge wir besitzen, desto weniger Schadstoffen sollten wir ausgesetzt sein. Weniger ist mehr. Auf Qualität vor Quantität achten! Das betrifft vor allem die Gegenstände im Haushalt, die mehr Größe, Oberfläche und Masse haben. Das fängt bei den Bausubstanzen wie Böden, Farben und Belägen an und geht über Küchen, Büroausstattung und Möbel bis hin zur Deko. Dabei ist es wichtig, sich Expert*innen wie dich Kathrin zu Rate zu ziehen.
Ein pragmatischer Ansatz für weniger Schadstoffe
Vielen Dank liebe Sarah für deine wertvollen Einsichten in dieses nicht zu unterschätzende Thema.
Zusammenfassend lässt sich nun sagen, dass wir zuerst einmal ein Bewusstsein für Schadstoffe und Umweltschadstoffe entwickeln müssen. Um diese dann effektiv zu eliminieren, bedarf es nicht zwingend große technische Lösungen, sondern einen recht pragmatischen Ansatz. Die Hilfsmittel, wie die eigene Sensorik, Apps, Siegel und Experten und Expertinnen können dabei unterstützen ein schadstoffoptimiertes Umfeld zu schaffen.
Ich bin davon überzeugt, dass es in Zukunft immer wichtiger wird, diese Faktoren zu kennen und sich deren Wirkung bewusst zu sein, einerseits um mündige Konsumentscheidungen treffen zu können und andererseits ein besseres Maß an Eigenverantwortung für die eigene Gesunderhaltung zu entwickeln. Nicht zuletzt tragen wir so alle dazu bei, dass unser Umfeld lebenswerter und angenehmer wird.
Schadstoffnachweise und Personalisierte Umweltanalysen von der Expertin: Dipl. -Ing. Sarah Reynvaan
Wohn- und Arbeitsräume schadstoffoptimiert zu planen, ist mein Antrieb: Kathrin Schmidt